Johann Anton: DICHTUNGEN
Johann Anton wurde am siebzehnten august 1900 in Graz geboren und wuchs in Halle an der Saale auf wo sein vater als direktor der psychiatrischen universitätsklinik arbeitete.
Als siebzehnjähriger überlebte er das inferno der schützengräben - sein zwillingsbruder nicht. Während des studiums in Marburg kam er zu George. Nach seiner dissertation bei Friedrich Wolters in Kiel 1924 · einem abgeschlossenen jurastudium und einem studienaufenthalt mit Berthold von Stauffenberg in Paris arbeitete der junge historiker bis zu seinem tod am siebenundzwanzigsten februar 1931 im Auswärtigen Amt. Er hatte sich eine rolle im diplomatischen dienst gewünscht.
Die DICHTUNGEN wurden auf veranlassung Stefan Georges von Victor Frank · Berthold von Stauffenberg und Johanns bruder Walter aus dem nachlass ausgewählt.
Hier soll nur ein eindruck dieser zeugnisse ermöglicht werden. Die AUFZEICHNUNG wurde gekürzt. Die gedichte sind thematisch ganz eigenständig und sprachlich alles andere als epigonale versuche die sich damit begnügen den ton Georges zu treffen. MICHELANGELO ist ein zyklus von neun gedichten. Die meisten beschäftigen sich mit einzelnen kunstwerken · eines wird von Vittoria Colonna gesprochen. Unter der überschrift NAPOLEON finden sich drei längere dramatische szenen deren lezte hier ungekürzt übernommen wurde. Über Napoleon hatte Johann Anton seine dissertation geschrieben. Von den neunzehn WIDMUNGEN sind hier zwei zu lesen. Etwas ganz besonderes sind die neun BALLADEN. Hiervon wurden nur zwei weggelassen. Sie entwickeln Georges verkürzenden stil weiter ohne an balladenhafter stimmung einzubüssen. DER SOHN DES SEEMANNS weint weil er nicht versteht dass sich die deutsche hochseeflotte deren auslaufen er bei kriegsende in Kiel beobachtete im juni 1919 selbst versenkte nachdem sie ein halbes jahr in Scapa Flow interniert gewesen war. Und in den revolutionswirren erschlägt ihm der mob noch den vater. Allein gelassen steht der junge für eine ganze orientierungslos gewordene generation. Den tiefen eindruck des kriegsgeschehens verraten auch die abschliessenden hundertundvierzehn - hier nicht berücksichtigten - verse unter dem titel VATERLAND.
DER MEISTER
EINE AUFZEICHNUNG AUS DEM JAHRE 1929
Wer in sein zimmer kommt - wie wenige dürfen es - wird immer denselben leisen duft darin finden . . man erzählt von Alexander es sei etwas wie rosen um ihn in der luft gewesen. Wer je den Meister im bilde des spiegels gesehn · wird es nicht vergessen: das unfassliche geheimnis des umgekehrten bildes . . dass schon die treueste wiedergabe des lebendigen um unermessliches hinter dem wirklichen bleibt wird ihn erschrecken - was ist dann noch die sage oder gemaltes das von den Ewigen bleibt?
Man sieht ihn selten allein. Die kleinen orte die ihn kennen sind noch voll vom zeitfremden schauspiel wie inmitten der jungen der greise Meister ging. Das volk hat mehr auge als der bürger: es sah die fülle des weissen haares und erriet wieviel die - immer erstrebte nie erreichte - eintracht von jugend und alter bedeute. Man wird später die stillen strassen aufsuchen wo mit der morgensonne sich sein fenster öffnete · wo manchmal schon einer der jüngsten wartete · indessen rings die bürger schliefen. Und zahllose wege im weiten vaterland und ruhmlose orte werden nur gelten weil ER dort ging mit seinen drei · mit seinen sieben · mit seinen zehn getreuen. (...)
Es gibt keine gehobene runde ohne ihn. Schon jezt ist es schlechthin abzeichen des ranges um ihn zu wissen oder nicht. So geliebt wurden vielleicht nur zwei drei sterbliche. Wir schweigen von den nächsten. Wem aber boten sich jünglinge an zu niederen diensten · zitterten krieger die ihn einmal sprechen durften · zu wem machten blonde söhne der heimat lange fahrten um ihn einmal vorübergehen zu sehen? An einem abend in einer nördlichen stadt lagen vor seiner tür gehäufte lilien - man wusste nicht wer sie gebracht.
Im dichtesten gewühl der menschen steht oft der Meister und die kleine runde. Jeder küsst voll ehrfurcht die weisse hand ehe er geht. Die menge stuzt kaum. Wie er mitten durch sie hindurchschreitet im dunkel verschwindend merkt sie nicht was geschieht.
Sein leben ist völlig offenkundig: tausende haben ihn gesehen - erkennen ihn (wie wäre er zu verkennen?) wissen wer mit ihm ist. Seine verborgenheit ist von der umwelt erfunden die nur das gedachte liebt und erträgt. So ist gleiche legende die abgeschlossenheit seiner runde: jeder ist willkommen der sich dort zu halten vermag. (...)
Neid und erstaunen folgt seinen jüngern - längst ist sein kreis zum begriff geworden. Hat einer je bedacht was es heisst streitbare geister männliche naturen in einklang zu bringen · glaubt man im ernst es sei leichter drei von ihnen beisammen zu halten als ein staatswesen zu leiten? Man täusche sich nicht mit jesuitischen oder preussischen formen: die der Meister leitet müssen ein maass von unabhängigkeit erringen ohne das er eine abhängigkeit nicht genehmigt. Durch die anrede allein: ‚Meister du musst mir noch erklären’ gewann ein kind unsrer gaue sein herz. Viele aber hat er vermieden von denen nichts zu erwarten war als treueste hingabe und unbedingter glaube. (...)
MICHELANGELO
NAPOLEON
WIDMUNGEN
Wie königskinder die umschlungen schaun
Vom turm zum feind und beide wissen: morgen
Fällt ihre burg - so redeten wir leise
Am fremden ufer streifend hand in hand.
Weisst du wieviel dein ruhiges auge damals
Mir war? - Ich sah dir lange nach als stolz
Dein schritt verklang wo vor der nacht voll fragen
Gross stand das Tor: des Kaisers siegesmal.
Erinnert dir der abend noch: am hange
Fuhr heimwärts (immer fernen klangs) ein wagen
Drunten im orte schlug ein hund - ganz silbern
Stieg durch die schatten dann der vesperton ·
Du bargst die stirn an meinem knie - nicht mir
Es galt dein zittern dieser heiligen erde
Die unter uns entschlief indes das heimchen
Wachhielt die nacht mit seinem trunkenen lied.
BALLADEN
BALLADE
Noch mancher weiss von jenem tag:
Voll mohn und blauem enzian lag
Der weg wo dicht die menge stund -
Auf einmal flogs von mund zu mund -
Er dessen einzug wimpel flor
Und teppich galten sei vorm tor
Südwärts die schlucht hinauf zum kar -
Ein köhlerbursch der mit ihm war
Zeigt ihm den weg man brachte bald
Den alten der zulezt im wald
Die beiden sah wo hinter rohr
Und weiden sich der weg verlor.
‚Seis drum’ das volk ging scheltend heim
Doch ward die woche drauf geheim
Bekannt: der habe sich im fels
Dem fusse folgend des gesells
Verirrt zur nacht wo. Ried und schlucht
Geräumt und schneise ward durchsucht . .
Wo sich die spur verlor im schilf
Stand schon die tafel ‚Mutter hilf
den sündern all’. Da liefs herum:
Der köhlerbursch im trunke dumm
Zeig prahlend in der mägde schwarm
Ringe aus gold am nackten arm.
Die büttel fahndeten ihn aus
Er sang und grub am meilerhaus ·
Mehr wusst er nicht: am weg der ging
Zum ulmenbruch sei ring bei ring
Lezthin am fest gesteckt im sand.
In fesseln später erst gestand
Die meintat er dem wärtel ein:
Wie sie den tag verbracht zu zwein
Jener an seiner schulter schlief
Als er ihn schlug und wie er tief
Im wald ihn barg sie suchten nach
Beim meilerhaus im tann am bach ·
Dort lag der tote unter birn-
Und schlehgestrüpp die weisse stirn
Und mund und augen in der flut
Die goldnen locken schwarz von blut
Man trug ihn abwärts . . dicht umstand
Das volk die gruft - doch als verschwand
Am tag des urtels kreuz und kranz
Und gar als man verwies des lands
Des buben greise mutter die
So hiess es laut das grab bespie
Wuchs das geraun um tisch und herd
Der braut der schwester ward verwehrt
Der gang zum grab . . Nur wo im schilf
Die tafel stand ‚o Mutter hilf
Den sündern all’ schlug der und der
Das kreuz · und manchmal ist weither
Am stock ein strauss: enzian und mohn -
Man sagt dass heimlich ihn die rohn
Berghirten bringen die dort knien
Spät wenn die herden talwärts ziehn.
DIE HÜTTE DES EINSIEDELS
Das seine bettstatt ! Hier
Schau schräg zum licht die bank
Wasser kommt her vom hang
Die blumen deckens schier.
Wie lange ist das her:
Du er und ich zu dritt ·
Der schimmel den er ritt
Scheut’ vor ich weiss nicht mehr.
Verstundst du wie er da
Blass ward und sah vor sich?
Dann küsste dich und mich
Kehrt’ und nicht rückwärts sah?
Wie lang ist das vorbei . .
Kannst du ihn wiedersehn?
Ich will nur die da stehn
Rosen und akelei
Die liebt er damals · mir
Mitnehmen . . spürst auch du
Sein lächeln seine ruh?
Die weinen sind nur wir.
DER ALTE
Wenn dumpf sein krückstock scholl
Im dorf die kinder flohn ·
Die muhm der enkelsohn
Verschrien den greis für toll.
Der sprach mit tier und kraut
Oft grinst er durch das glas
Wenn wo zur hochzeit sass
Ein bräutigam und braut.
Am kirchhof wars: da schnitt
Er ab vom kreuz den Herrn
Und stiess · sie sahns von fern ·
Das holz mit schlag und tritt . . .
Heimlich begrub man ihn -
Kein auge kehrt sich seit
Zum fenster wo vorzeit
Sein weisses haar erschien.
DAS SONNTAGSKIND
Mit andern kindern hab ich drauss
Gespielt wo’s fluder rinnt
Ich fand den ersten blumenstrauss
Galt als ein sonntagskind.
Da hört ich einst der büdnerfraun
Getuschel hinter mir:
‚Die mutter war ein findel · traun
Sie schrak vor einem tier
Am tage just wo sie gebar -
Es nimmt kein gutes end’
Da lief ich fort verweint und bar
Bis wo mich keiner kennt.
Am strassenstein steht ringelblum
Ich schau wohin woher
Weiss wol · bald ist mein zeit herum
Bald sieht mich keines mehr.
DER NARR
Mutter · schau · wieder vorm laden
Der · halb zerschlissen halb bloss -
Schau: bänder vom gürtel am schooss
Schau: wieder den hund am faden !
Kommt so zu jedem feste . .
Ist wahr dass klein er entlief?
Die burschen mustern ihn schief -
Hat doch kein fehl kein gebreste.
Jezt lehnt er drüben am hause
‚Waldgänger’ schilt man ihn fort
Kehrn ihn zum bergweg hin - dort
Hat er wo · heissts · seine klause.
Mutter · schau · wie die dirnen
Lüstern den weg ihm versperrn
Schau · mutter · golden wie bern-
Stein weht sein haar vor der stirnen.
KUKUKSEI
Den tag lang barg er sich im boot
Er brannte stirn und nacken rot ·
Sie winkten ihm vom dünenhaus
Sie steckten zweig und wimpel aus ·
Umsonst · er schöpfte aus dem schiff
Das wasser · sang und summt und pfiff
Im nebel sass er hinterm feim
Erst unterm mond stahl er sich heim.
Der alte liess ihm was er bat
Raunt in der kammer dann: der hat
Die augen nicht von unserein
Dem hilft nicht frauensleut und wein
Ob der uns segen bringt ins fach?
Vielleicht sezt er den hahn aufs dach . .
So schaun die nachts der albe fängt
So findt man endlich: selbstgehängt.
DER SOHN DES SEEMANNS
Immer muss ich denken wie ganz klein
Mich der vater führte an die bucht
Wie er aus den vielen schiffen sein
Schiff mit augen mir herausgesucht.
Einmal fuhr die ganze flotte aus
Ich verstand noch nicht wie sie da schrien
Doch ich merkte: nie kam sie nach haus
Und dass jeder wegsah fragt ich ihn.
Später hört ichs: hundert faden tief
Liegt die drunten kiel an kiel · kein feind
Selber taten sies · und wie ich lief
Hin zum vater schalt er dass ich weint.
Bis zum tag da brachten sie ihn an
Halberschlagen von dem pack im ort
Doch er kannt mich noch ‚jezt bist du dran’
Nickt er nur - das war sein leztes wort.
Manchmal geh ich noch zu seinem grab
Was soll ich denn tun? und wo? und wann?
Immer muss ichs denken - und ich hab
Keinen den ich darum fragen kann.