Auch wenn das NEUE REICH zehn jahre nach kriegsende erschien war es doch der erste gedichtband Georges in der kurzen zeitspanne der Weimarer Republik (und zugleich sein lezter überhaupt). Manche gedichte stehen noch unter dem eindruck des kriegsgeschehens · insbesondere die SPRÜCHE AN DIE TOTEN in denen auch der freunde gedacht wird die nicht aus dem weltkrieg zurückkamen und so macht sich die germanistik unserer zeit einen spass daraus über Georges angebliches Totenreich" zu spotten (Osterkamp 2002, 48; OF 2010, 33; Osterkamp 2010, 53). 

Die drei männer auf dem foto hätten das vermutlich weniger witzig gefunden. Sie sind sanitäter eines zugs des Roten Kreuzes in Flandern und werden mit sterbenden gleich wieder genug zu tun haben, sobald ihre pause beendet ist: Ernst Morwitz (links) und die beiden maler Erich Heckel (mitte) und Anton Kerschbaumer. Morwitz war fast vier jahre dort. Er hatte jura studiert und in Heidelberg promoviert. Als er sein zweites staatsexamen ablegte begann der krieg. Ende 1914 meldete er sich für den freiwilligen dienst beim Roten Kreuz. 

 9 DAS NEUE REICH 

93  SPRÜCHE AN DIE LEBENDEN 9301-43

94  SPRÜCHE AN DIE TOTEN 941-8

93  SPRÜCHE AN DIE LEBENDEN 9301-43

Der gattungsbezeichnung „sprüche” erinnert an die im unterschied zu den liedern des minnesangs lehrhafte mittelhochdeutsche spruchdichtung etwa bei Freidank · Thomasin oder auch Walther von der Vogelweide und umfasste meist ethische ratschläge oder politische kommentare. Eine bedeutende stellung in Georges gesamtwerk nimmt der die SPRÜCHE abschliessende dialog VICTOR · ADALBERT ein. 

Die an Bernhard von Uxkull und Adalbert Cohrs gerichteten sprüche entstanden noch vor deren tod und wurden erstmals 1919 in den BfdK veröffentlicht. Den angesprochenen selbst wurden die sprüche allerdings meist unverzüglich geschickt oder überreicht. 

Das bild mit den brüdern Woldemar (*1898 · links) und Bernhard Victor (*1899) Grafen von Uxkull-Gyllenband „in Ilfelder Schultracht 1913” stammt aus dem 1964 von Morwitz herausgegebenen band der gedichte Bernhards.

Ernst Morwitz oblag die erziehung der brüder in Berlin seit 1906 bis sie 1911 auf die Klosterschule Ilfeld im Harz wechselten. George wurden sie schon 1907 vorgestellt. Er liess sich über die nicht immer grossen fortschritte genau unterrichten und schickte ihnen beurteilungen ihrer dichterischen versuche. 

Woldemar überlebte den krieg an der front in Mazedonien und studierte dann alte geschichte auf anraten Georges der ihn „das Fürstliche” nannte und gern über die liebe zu seinem auto spottete. 1919 durfte er bereits an dem „Seelenfest” in Gundolfs villa teilnehmen und war während seiner Heidelberger studienzeit viel mit Ernst Kantorowicz und Percy Gothein zusammen. 

Die brüder Stauffenberg waren seine cousins - die väter waren durch den dienst für den königlich württembergischen hof stark eingebunden - und es war Woldemar der Alexander bei George einführte. Nach dissertation und habilitation jeweils über Plutarch bekam er 1932 einen lehrstuhl in Tübingen wo seine vorlesungen bei den studenten hoch im kurs standen. Mit Carlo Schmid war er eng befreundet. 

1939 starb Woldemar - der als sportlicher fahrer galt - bei einem autounfall aber sein schüler Karl Friedrich Stroheker hatte den lehrstuhl noch inne als ich in Tübingen studierte. Er wirkte auf die studenten der siebziger jahre schon selbst wie ein teil der alten geschichte so dass man sich lieber in den bann seiner unvergesslichen schülerin ziehen liess - und deren assistenten beneidete.

9301 Wartend am kreuzweg stehst du in schweben:

1 kreuzweg : Herakles stand in seiner jugend vor der entscheidung zwischen einem bequemen aber verwerflichen und einem anstrengenderen weg der zu anhaltendem glück führen sollte und dabei keine ethischen zugeständnisse verlangte. Im süddeutschen pietismus - die gräfliche familie war protestantisch - weisen die seit 1867 verbreiteten lithografien von Charlotte Reihlens „Der breite und der schmale Weg" in dieselbe richtung.

Es ist naheliegend dass der begriff „loos-jahr” („loos” ist gleichbedeutend mit dem schicksal) das bevorstehende jahr von Woldemar von Uxkulls abitur und die darauffolgende militärische weichenstellung meint - also 1917. Sicher ist auf wen er sich bezieht: die anfangsbuchstaben der sechs verse ergeben als akrostichon den namen mit dem Woldemar üblicherweise gerufen wurde. „Woldi” wird also aufgerufen sein schicksal mehr als bisher in die eigene hand zu nehmen und künftige entscheidungen mit überlegung zu treffen. (Ähnliche mahnungen insbesondere von Morwitz war er über jahre hinweg gewöhnt. Ein musterschüler war der junge graf jedenfalls nicht. Allerdings blieben Morwitz’ eselsgeduld und seine unermüdlichen bemühungen um den jungen schliesslich doch nicht erfolglos. Seine liebevolle nachsicht konnte Morwitz sogar auf George übertragen der Woldemar neben zwei anderen jugendlichen das grosse gedicht AN DIE KINDER DES MEERES 9105 widmete.)

9302 Da das zittern noch waltet

Die verse für Bernhard drücken eine dunkle ahnung vor einem noch unergründlichen aus und sind verbunden mit der „bitte” auf die worte (des Dichters) zu hören deren seele der bewidmete doch selbst sei. 

9303 Tauch hinab in den strom

2 weidicht : weidengestrüpp am flussufer

8 zwischen mir und der nacht : wörtlich zu nehmen. Der sprecher sieht hinter dem getauften nur die nächtliche dunkelheit. So wird das bild auf zwei personen ohne jedes beiwerk reduziert. 

Dem gedicht liegt die vorstellung einer taufszene zugrunde in der der angesprochene - wiederum Bernhard (M) - nach dem ablegen aller reste seiner als „trug” angesehenen früheren identität und nach dem bekenntnis zum sprecher wie neugeboren aus dem fluss steigt. Sein wert wird künftig vom sprecher bezeugt oder beurteilt für den hier hand und mund als metonymie stehen. Dass Bernhard sich ganz ausschliesslich George anheimstellte ist klar bezeugt. 

9304 Freu dich an dem wert der gabe

Seinem freund Adalbert Cohrs gelten die nächsten vier sprüche. Hier wird er aufgefordert mit dem einbezogensein in den Kreis wie mit einer kostbaren „gabe” - wertschätzend und zurückhaltend umzugehen · vor allem aber sich daran zu erfreuen. Seinen händen kann sie nicht entfallen weil sie nicht materieller art ist. 

9305 Solches bleibt nunmehr zu tun:

Diese gabe - oder ist die liebe Bernhards gemeint? - wird hier als ein ihm widerfahrenes wunder bezeichnet das aber nicht als erfüllung sondern als ein „strahlender beginn” angesehen werden soll. Die frage muss nicht entschieden werden denn es kommt ja ohnehin ein „begleitend ding” hinzu wodurch das zuerst genannte erst „doppelt hoch und einzig schön” wird.

9306 Liebe freilich nennt kein maass

Hier werden liebe und ehrfurcht („ehre”) verglichen. Was für leztere gilt - dass sie „grade” kenne also zu unterscheiden fähig sei (M erinnert an Goethes unterscheiden einer „Ehrfurcht an sich” von der ehrfurcht „vor dem, was über und unter uns ist”) trifft auf die liebe nicht zu (die also nur absolut sein kann). Der bewidmete habe sich in seinem lieben völlig angemessen verhalten: „das grosse gross” getan. Der sprecher weist aber darauf hin dass er „tiefer” ehren könne als der angesprochene. Dies ist als versuch zu werten ihn zu einer anderen haltung gegenüber dem niederen zu erziehen - während seine tatbereitschaft anerkennung findet. Passend dazu erinnert M an Goethes ansicht dass „nur besonders Begünstigte” die ehrfurcht „aus sich allein entwickelten” während sie „den meisten Menschen anerzogen werden” müsse. Dabei sei ehrfurcht „ein höherer Sinn, auf den alles ankomme, damit  - so Goethe - ‚der Mensch nach allen Seiten Mensch sei’”.

9307 Wenn es dein geist von selbst nicht finde

Dieser spruch handelt von „der Sehnsucht nach individueller Freiheit” (M) die ja auch George einmal gegenüber dem engel des VORSPIELS empfand und aussprach (6104). Der angesprochene - also wiederum Cohrs - werde diesen irrtum selbst erkennen · spätestens dann wenn George einen dritten aus dem gefolgschaftsverhältnis entlässt der zuvor von einem ersehnten „befreiungstag” sprach. Das gedicht erinnert aber auch an 8303. 

In der zweiten strofe antwortet der angesprochene dass er seinen „zweifel” in kurzer zeit klar sehen und alles geben werde um seine schuld zu „sühnen”. Die abschliessende · natürlich nicht auf materielle besitztümer zielende versicherung „Nichts ist mein was dein nicht wäre” klingt wie ein eid zur erneuerung der gefolgschaft. 

9308 Rätsel flimmern alt und neu

Der spruch an Bernhard v. Uxkull scheint an 9302 anzuknüpfen - auch hier wird wieder die lenkende „hand” des sprechers erwähnt - und verheisst eine grosse zukunft wenn der angesprochene die eingeschlagene entwicklung fortsezt: Das leben werde ihm zum fest und Deutschland werde bewunderung auf sich ziehen. M bezieht dies auf Uxkulls „grosse Begabung” nicht nur in bezug auf sein dichterisches werk sondern auch auf seine „Haltung”. George verhält sich hier kaum anders als heute jeder beliebige trainer eines zu hoffnungen anlass gebenden nachwuchssportlers.

9309 A. I

Die folgenden sprüche sind mit den initialen der gemeinten personen versehen die bislang fehlten weil ihr inhalt auch von allgemeiner gültigkeit war. Nun aber stehen die besonderheiten der angesprochenen im vordergrund. Das fehlen der initiale für den nachnamen kann auf besondere vertrautheit hindeuten. 

Den beginn machen drei sprüche für Adalbert Cohrs an die sich drei weitere für Bernhard von Uxkull bestimmte anschliessen. Dem Adalbert wird gesagt dass ein jahr lang „ein herz im andren herzen zittern” müsse damit die seele des anderen zum „klingen” kommen - „die innere Bindung aneinander” (M) hergestellt sein könne - was bislang noch nicht gelungen sei. Ob er es dennoch wagen wolle?


9310 A. II

George habe - was ja bereits 9306 bewies - Cohrs’ kühne und schöne „Tathaftigkeit” bewundert (M) die - wie hier gesagt wird - dazu neige vorhandene „ringe” - also fesseln oder grenzen - zu sprengen. Der sprecher hingegen fühle sich eher dort frei wo „ein gesetz (ihn) engt”. Der ehrfürchtige schauer vor dem schicksal fehle dem jüngeren noch. Der spruch schliesst mit der andeutung dass ein vor kurzem stattgefundenes treffen - hier „advent” genannt - die erwartungen nicht ganz erfüllte. 

9311 A. III

Nachdem Cohrs bislang „des lebens götterteil genossen” habe - mit „Glück und rausch und schwärmen wunderbar” dürfe er jezt nicht murren wenn ihm die andere seite des lebens bevorsteht: die gefährliche. Mit einem so chronisch erhobenen zeigefinger wie er dem arme Cohrs gezeigt wurde (der dann aber wenigstens in den SPRÜCHEN AN DIE TOTEN besser wegkommt) liessen sich heute nicht mehr viele jünger gewinnen. Allerdings ging es George ja gar nicht um „viele”. Den zeigefinger auszuhalten · besser noch: um ihn zu bitten war ja eben das erwünschte gütesiegel. Jünger kann nicht sein wer sich nichts sagen lassen will. 

Niemand weiss was in Cohrs vorgegangen wäre hätte er gesehen wieviel mehr zustimmung Uxkull in den SPRÜCHEN AN DIE LEBENDEN erfuhr. Freilich hätte sich George eine ähnlich glückliche jugendzeit gewünscht wie sie dem sohn des Ilfelder schulpfarrers bestimmt war. Man ist inzwischen doch etwas empfindlicher und nicht jeder dürfte den druck wie er hier auf Cohrs ausgeübt wird von vornherein gutheissen. Andererseits ist dieser sanfte zwang auf jugendliche vergleichbaren alters im bereich des spitzensports gesellschaftlich vollkommen akzeptiert. Ganz ähnlich wurden auch bei George die mittel durch den zweck geheiligt: das heranziehen einer elite. Dass deren charakterliche bildung überaus ernst genommen wurde lässt sich gerade an den SPRÜCHEN an Cohrs gut ablesen.

Das gedicht sezt voraus dass Cohrs der sich 1915 freiwillig an die front gemeldet hatte George gegenüber seinen sinneswandel zum ausdruck gebracht hatte. In der tat wusste George schon 1917 von Cohrs' erschöpften kräften und bald auch von seinem wunsch lieber zu desertieren als länger an der front zu bleiben. Spätestens bei einem zusammentreffen in München 1918 machte er dem jungen artillerieoffizier klar dass er dafür seine zustimmung nicht erhalten würde. Das dürfte dazu geführt haben dass beide freunde ihre pläne künftig für sich behielten. Nicht einmal Morwitz der damals ebenfalls in Belgien seinen dienst ableistete und sich dadurch mit Uxkull mehrmals treffen konnte war eingeweiht. 

9312 B. I

Der spruch nimmt bezug auf ein gedicht des achtzehnjährigen. Es ist das zweite aus Uxkulls „Sternwandel”-zyklus den George 1919 in den BfdK veröffentlichte. Georges gedichte in diesem alter hatten bei weitem nicht solche güte (allerdings hatte George damals auch keinen Morwitz im nacken).

Wer lauschte wohl auf unserer herzen schlag / Da wir im traume unter blumen lagen / Und sah uns zu - wer möchte dann noch sagen · / Wir hätten selten einen reichen tag . . 

Wenn sich am mittag unter kühn geschweiften / Uralten bogen unsre blicke trafen · Wenn wir am abend durch die strassen streiften / An denen nächtens dunkle tore schlafen . .

Und wir berauschten uns am duft der blüte / Die unsre scheue hand nicht brechen mag . . / Wir hätten selten einen reichen tag / Wenn nicht die liebe unser blut durchglühte. 

Das nächtliche tor - heisst es nun bei George -  könne weder durch sehnsucht noch durch gewalt geöffnet werden. Der sprecher bittet um die bereitschaft wach zu bleiben bis von innen „der ruf erschallt”. Es gibt deutungen die das nächtliche tor als bild für den tod verstehen wollen. Das würde bedeuten dass die bitte des sprechers darauf abzielte der ausgerechnet hier als „Geliebter" angesprochene möge bis zum lebensende des sprechers bei ihm bleiben. So viel liebes-treue hat George freilich von keinem je verlangt und sich nicht einmal gewünscht. Ist aber gegen allen anschein nur der jünger anstatt des geliebten gemeint oder glaubte George der damals schon krank war an einen wesentlich früheren tod so mag die deutung angehen.

9313 B. II

Auch dieser spruch nimmt ein motiv Uxkulls auf · und zwar aus der dritten strofe des sechsten gedichts des zyklus HEISSE ABENDE der entstand als der schüler sechzehn jahre alt war:

‚Dein mund den ich geliebt wird nie zum grund / Versunkner tiefe reichen · wo ich harre / Verlornen lichts in unerlöster starre · /  Und ewigkeiten durch auf deinen mund !’ Die anführungszeichen deuten an dass das gedicht als von einem anderen gesprochen aufzufassen ist und der geliebte mund somit Uxkulls eigenen meint.

Anerkennend stellt Georges sprecher fest dass der angesprochene die „traumeswelt” schon kenne (und damit über die wichtigste voraussetzung für einen dichter verfügt) · weist aber darauf hin dass erst „dein mund” das erträumte „ertönen” lasse. Dass Uxkulls verse sicher nicht den dichterischen mund meinten dürfte George trotzdem nicht übersehen haben.

9314 B. III

Der als dank aufzufassende lezte spruch blickt zurück auf ein vergangenes gespräch in dem es gar nicht um tiefschürfende inhalte ging das aber dennoch innerlich bewegt habe. Dass mit der „reichen kunde” zu der das „schlagende herz” dem angesprochenen verhalf nur dichterisches gemeint sei - wie M vorgibt - sei bezweifelt. George selbst sah offenbar keinen anlass solche missverständnisse bewusst herbeizuführen · der erste satz schliesst sie ja geradezu aus. Das gespräch scheint sich eben nur um sehr persönliches gedreht zu haben. Der spruch soll daher eine besondere wertschätzung ausdrücken - was auch absicht der beiden vorangegangenen sprüche war indem sie belegen wie ernst George die verse des jungen Uxkull bereits nahm. 

9315 W. I

Ein hartes strafgericht aufgrund unzureichender fortschritte bricht in den nächsten drei sprüchen über Woldemar von Uxkull herein. Künftig wird er dereinst vor der verschlossenen tür (zu George) stehen und sich die hände blutig schlagen ohne sie doch öffnen zu können. Dabei hätte er sich so einfach über die schwelle tragen lassen können - durch einen arm dem er hätte vertrauen können. Zweimal muss er sich deshalb „kind” nennen lassen.  

9316 W. II

Der gerade zuvor genannte „leichte weg” stehe jedem nur einmal offen. Dies weicht von der zu 9301 erwähnten pietistischen darstellung des schmalen und des breiten wegs ein wenig ab wo der breite (dem der leichte weg entspricht) immer ins verderben führt und nie begangen werden sollte. Nachdem Woldemar dieses eine mal verpasste hat er keine andere wahl mehr. Dass er sich nun die mühen des schweren wegs auferlegt sei aber nicht zu erwarten. Er werde sich vielmehr irgendwelchen trost zusammenspinnen was ihn vor künftiger „qual” nicht bewahren könne.

9317 W. III

Am schicksalsrand - einer gefährlichen stelle von der man leicht herunterfallen kann - steht Woldemar und strebt nach dem glück - wobei er sich fragt ob es für ihn überhaupt noch erreichbar sei. Wenn er zu denen gehöre die dieses höchste zu erlangen glauben ohne sich mühe geben zu müssen liege er falsch: es gehe hier nicht wie beim erben grosser güter.

Der vorausgeahnte sturz vom schicksalsrand trat 1933 doch noch ein · und eigentlich wurde George mit in den abgrund gerissen. Zu dessen fünfundsechzigsten geburtstag hielt Uxkull in Tübingen eine ansprache vor studenten in denen er sich - um George zu würdigen - bemühte dessen bedeutung für den nationalsozialistischen umschwung hervorzuheben. Eine ähnliche anbiederung an die neuen machthaber hatte es von keinem anderen aus dem Kreis gegeben und solches aus dem mund eines mannes zu hören der seine ganze erziehung einem juden verdankte und als student mit einem juden - Kantorowicz - zusammengelebt hatte führte insbesondere bei den jüdischen kreisangehörigen zu entsetzen. George hatte alles unternommen um peinlichen offiziellen ehrungen und dem versuch der vereinnahmung zu entgehen. Nun hatte Uxkull alles zunichte gemacht · zu der damals entscheidenden frage über das verhältnis Georges zum nationalsozialismus die unwahrheit gesagt und George in eine ausweglose lage gebracht. Er sah den fehler seiner unbedachten rede rasch ein. Gleichwol ist ihm der dank aller die sich bemühen eine geistige nähe Georges und seines Kreises zum nationalsozialismus glaubhaft zu machen bis heute gewiss. Das von den jüdischen freunden erwartete machtwort des Meisters blieb nämlich aus. Wenige monate vor seinem tod und auf betreuung angewiesen scheute er sich die andere fraktion zu verärgern und schwieg.  

9318 P.

Percy Gothein hatte seinerzeit bekannte eltern. Seine mutter war kunsthistorikerin und die autorin eines standardwerks über die „Geschichte der Gartenkunst” · der vater wirkte als nationalökonom an der Heidelberger universität. Beide eltern waren mit Friedrich Gundolf befreundet der den vierzehnjährigen sohn mit George bekanntmachte. Er war damals schon von so auffallender erscheinung dass George der ihn zufällig gesehen hatte darum bat. Er hat dann zweimal George in Bingen besucht · mit seiner weiteren charakterlichen und fysiognomischen entwicklung aber bei George eher enttäuschung ausgelöst. Kaum hatte Percy das abitur bestanden brach der krieg aus. Er meldete sich freiwillig und erlitt in Galizien eine schwere verwundung. Er studierte nach der genesung filosofie und 1919 romanistik in München. Dort fand er wieder zugang zu George und wurde beim Heidelberger pfingsttreffen in den kreis eingeführt. 

Aber während so viele mitglieder seiner familie eine universitätskarriere vorzuweisen hatten schlugen Gotheins versuche sich zu habilitieren fehl. Offensichtlich arbeitete er nicht so hart an seinen defiziten wie es George erwartete. 

Dass Gothein mit seiner homosexualität nicht so beherrscht und zurückhaltend umging wie es angesichts der damaligen rechtslage angebracht gewesen wäre und von George unbedingt gefordert wurde machte die sache nicht besser. Der spruch drückt in schonungslosen worten die enttäuschung as die 1923 zum bruch führte. Gothein scheint dann mit dem motorrad viel auf reisen und in Italien gewesen zu sein und hielt sich 1944 im umfeld des Amsterdamer Castrum Peregrini auf wo er hofiert wurde und es ihm leichter fiel den anforderungen zu genügen. Noch vor dem jahresende wurde er dort von der Gestapo aufgegriffen und starb kurz danach in Neuengamme. Seine persönlichkeit wurde von vielen die ihn kannten auffallend kontrovers geschildert. 

9319 G. R. H.

Gustav Richard Heyer sei ein arzt gewesen „der sich mit Psychoanalyse beschäftigte” (M) als student aber zusammen mit seinem bruder Wolfgang zu einem Heidelberger freundeskreis gehörte der sich vor dem krieg bei Edgar Salin traf und dem auch Norbert von Hellingrath und Gundolf angehörten. Im frühsommer 1914 führten sie zu Gundolfs geburtstag zusammen Shakespeares „Wie es euch gefällt” auf. Er heiratete schon 1917 (vergleiche H, 2401). Die vier verse scheinen zu besagen dass er noch in seinem alten leben verwurzelt sei aber die neue „haltung und gebärde” bereits angenommen habe. Reizvoll ist das gegensatzpaar von „alter scholle” und „morgenerde” wo sich der sprecher zu befinden scheint. 

9320 H. M.

Hanns Meinke (1884-1974) war ein dichter und bildender künstler der inzwischen weitgehend in vergessenheit geriet. Er scheint schon zu lebzeiten kein lautsprecher gewesen zu sein und sein zurückhaltendes wesen lässt sich auch in Georges zeilen erkennen. M erwähnt dass er über jahre hinweg George gedichte zuschickte. Trotzdem sei es zu keiner begegnung gekommen. 

9321 L. I

9322 L. II

9323 F. W.

9324 J.

9325 E.

9326 R. . .

9327 S. . .

9328 A. VERWEY I

9329 A. VERWEY II

9330 A. VERWEY III

9331 A. VERWEY IV

9332 A. VERWEY V

9333 M.

9334 DER TÄNZER

9335 B. v. ST. I

9336 B. v. ST. II

9337 DER HIMMEL

9338 DER SCHLÜSSEL

9339 LEIB UND SEELE

9340 DER WEISHEITSLEHRER

9341 ERZIEHER

9342 BELEHRUNG 

9343 ZWEIFEL DER JÜNGER

9344 Lang ist gang in gleicher spur: 

94  SPRÜCHE AN DIE TOTEN 941-8

941 Wenn einst dies geschlecht sich gereinigt

II,8 die Hehren : die vornehmen oder die ehrfurcht gebietenden

Zu beginn werden zwei bedingungen genannt die noch nicht erfüllt sind: zum einen die lösung der „fessel des fröners” womit der Versailler Vertrag gemeint sein dürfte. Die Deutschen müssen sich aber zum anderen auch von „schande” gereinigt haben und im innersten „den hunger nach ehre” verspüren. Dann wird der zeitpunkt für „der toten zurückkunft” gekommen sein der hier als das brausen des wotansheers vorgestellt wird. Es kommt selten vor dass George dem zeitgeschmack solche zugeständnisse macht. So viel germanentum ist aber wol als zeichen für den trotz angesichts des als nicht gerecht angesehenen friedensvertrags aufzufassen. 

„Schande” bezieht M nicht auf die niederlage der Deutschen sondern auf „ihr vom Dichter getadeltes Verhalten, das eine der Ursachen des Krieges gewesen ist” während der „hunger nach ehre” „das Streben nach einer würdigeren Lebensgestaltung” (M) bedeute. 

Dieses konditionalgefüge wird in der zweiten strofe abgewandelt. Nun besteht die bedingung in der lösung des volks „aus feigem erschlaffen” und dem bewusstwerden der eigenen sendung. Dann werden eine sinndeutung des erlebten „grauens” sowie preis und ehrung der „Helden” möglich sein. 

Man mag dem gedicht zugutehalten dass es die schuld für die kriegskatastrofe nicht auf andere zu verlagern sucht und den versuch darstellt niedergeschlagenheit und hoffnungslosigkeit zu überwinden. Verständlich ist auch das bedürfnis das sang- und klanglose anonyme ende der gefallenen kreisangehörigen nicht hinzunehmen ohne wenigstens noch für ihre angemessene ehrung zu sorgen. Aber wen sollen der „blutschein” und die „lautdröhnenden heere” Wotans erschrecken? Ist es möglich darin nicht die androhung neuer kämpfe zu erkennen? Es kommt selten vor dass  Georges worte hohl oder gar falsch klingen. Der wunsch den toten noch etwas zu sagen · ihr opfer doch irgendwie sinnvoll erscheinen zu lassen war eben kaum umzusetzen. 

Und jedem graut heute schon vor den verlogenen peinlichkeiten die Europa einst den verratenen Ukrainern an ihren massengräbern hinterherwerfen wird · einmal im jahr vielleicht. Die besseren unter den rednern werden dann kaum anders als George davon sprechen dass man sich von eigener „schande" reinigen müsse · werden bedrückt um worte ringen wie man sein „feiges erschlaffen" entschuldigen könnte und dabei wissen dass alles viel zu spät ist. 

Die opfer des Kreises gingen wenigstens nicht in die zehntausende: es war immerhin möglich sie namentlich zu würdigen. Dies ist die aufgabe der anschliessenden SPRÜCHE.

942 HEINRICH F.

Heinrich Friedemann starb sechsundzwanzigjährig als erster kreisangehöriger schon im februar 1915 an der ostfront. Er hatte mit dreiundzwanzig jahren promoviert und sich dann als leser des JfdgB an Gundolf gewandt der damals mit Wolfskehl als herausgeber fungierte. Noch vor seinem tod erschien im verlag der BfdK - und das heisst: mit Georges ganzer unterstützung - sein „Platon. Seine Gestalt”. Friedemann sah Platon als stifter einer religion in der das göttliche sich in menschen offenbaren kann. George nahm das buch in den "Kanon" auf. 

Morwitz berichtet dass Friedemann mit dem er in kontakt stand „wusste, dass er fallen würde, schon bevor er ins Feld ging”. Das war seine „bestimmung” und deshalb wird er im gedicht ein „entrückter schon beim abschiedswort” genannt. Er sei dennoch nicht bedrückt sondern „leicht wie ein kind” ins feld gezogen.

943 WALTER W.

Walter Wenghöfer war nicht im krieg gefallen sondern hatte sich kurz vor kriegsende in der Elbe - er lebte in Magdeburg - ertränkt. George lässt ihn im gedicht selbst zu wort kommen. Die erste strofe deutet an dass Wenghöfer ganz in der epoche des rokoko lebte während er in der zweiten die eigene gegenwart vollkommen ablehnt und als dem untergang geweiht ansieht. Er hatte filosofie studiert und über Jean Paul promoviert. Wenghöfer war mit seiner hypochondrischen veranlagung eine figur der décadence. George an den er sich erst als fünfundzwanzigjähriger 1903 wandte gestattete den abdruck einiger seiner gedichte in den BfdK. 1906 durfte er erstmals George begegnen der ihn so schäzte dass er sogar seine berufliche untätigkeit billigte. Eine der TAFELN ist an ihn gerichtet (7725). Einig waren sich beide in der strikten ablehnung des weltkriegs. Auch im Kreis wurde anerkennend über ihn gesprochen. Mit Hanna Wolfskehl die er verehrte führte er einen intensiven briefwechsel - es kam sogar zu heimlichen treffen. Dass sich gleich mehrere kreismitglieder auf geheiss Georges um den vereinsamenden kümmerten verhinderte den freitod nicht der in den BfdK auf einigen widerhall stiess. Seine gedichte und briefe sind heute leicht zugänglich (Pieger 2002).

944 WOLFGANG

945 NORBERT

946 BALDUIN

947 BALDUIN

948 VICTOR · ADALBERT

Hier geht es noch einmal um Bernhard Victor von Uxkull und seinen freund Adalbert Cohrs die sich 1911 im internat zu Ilfeld kennengelernt hatten. Bernhard trat gleich nach dem abitur als siebzehnjähriger in das Erste Preussische Garde-Feldartilllerie-Regiment ein das direkt dem preussichen König - also Wilhelm II. - unterstand. Eine schwere erkrankung bewahrte ihn davor schon im märz 1918 an die front geschickt zu werden. Nach seiner gesundung scheiterte ein gemeinsam mit Adalbert unternommener fluchtversuch in die neutralen Niederlande durch verrat. Bei einem anschliessenden verhör in einer kaserne in Kaldenkirchen erschossen sich beide. Sie mussten davon ausgehen vor dem militärgericht wegen fahnenflucht zum tode verurteilt zu werden was insbesondere für die traditionsreiche familie von Uxkull eine zusätzliche belastung gewesen wäre. Die erschiessung scheint für den fall des scheiterns abgesprochen gewesen sein. 

Ihr tod war für Morwitz der furchtbarste schlag seines lebens und für George und die zukunft des Kreises eine ähnliche katastrofe wie zwölf jahre danach der tod Johann Antons.

1919 wurden gedichte Bernhards in den BfdK veröffentlicht die im Kreis starke beachtung fanden und ihm die bezeichnung „Sternwandel-Dichter” einbrachten (nach dem namen eines gedichtzyklus). Morwitz liess diese werke seines früheren schülers 1964 in einem eigenen band erscheinen. George hatte die dichterischen versuche Bernhards früh gutgeheissen und ihn ermuntert sie fortzusetzen. Man sezte grosse hoffnungen in seine entwicklung zumal er als zuverlässiger galt als der etwas labile ältere bruder. Nachdem dieser aus disziplinarischen gründen das internat verlassen musste begaben sich beide brüder zurück in die obhut von Morwitz der auch während der internatszeit im kontakt mit ihnen geblieben war. In dieser zeit unterstellte sich Bernhard - wie die erhaltenen briefe zeigen - ganz und gar George den er oft besuchte wenn er in Berlin war. Die gespräche die sich oft um seine zukunft drehten sind durch sein tagebuch überliefert. Sein geliebter freund wurde von Morwitz und George als Bernhard ebenbürtig erachtet. Er traf erstmals 1917 als zwanzigjähriger mit George zusammen und bezeichnete sich seitdem als sein jünger. Da hatte er schon zwei jahre freiwillig dienst bei der artillerie geleistet · war offizier geworden · wurde in den schweren kämpfen um Verdun und an der Somme eingesezt und berichtete Bernhard davon täglich in feldpostkarten. Nach zweieinhalb jahren lebte er immer noch · beschloss aber nach einem heimaturlaub im november nicht mehr an die front zurückzukehren. In einem erholungsheim in Schierke kam er mit Bernhard zusammen und George hat die beiden dort besucht. Sie weihten ihn in ihr vorhaben nicht ein. George kannte aber - wie 9311 zeigt - Adalberts zunehmende abneigung sich wieder dem schrecken in den schützengräben auszusetzen · billigte sie aber nicht. 

Wie in diesen tagen die entscheidung zur gemeinsamen flucht entstanden sein könnte scheint das gedicht in einem erdachten gespräch zwischen „A” und „V” zeigen zu wollen. George denkt hier an den zweiten vornamen (den er später auf Frank Mehnert übertrug) um zu unterstreichen dass Bernhard trotz seines todes als sieger im gedächtnis bleiben sollte. 

18 Gemahnt ich dich (...) So schweigte mich ... : konjunktiv in verbindung mit einer verkürzenden form. Würde ich dich mahnend daran erinnern (...) So liesse mich (...) schweigen. Zugleich ein beispiel für den einfühlsamen umgang mit dem freund. V zeigt mit der wahl des konjunktivs dass er es als unstatthaft empfindet dem geliebten tatsächlich mit einer mahnung entgegenzutreten. 

„Im schönen bergland” des Harzes denkt V an die zurückliegende „sonnenseligkeit” ihrer gemeinsam verbrachten tage zurück. A blickt dagegen in die zukunft. Die „eitle hoffnung” der bevölkerung auf einen sieg teilt er nicht mehr. Er glaubt zu fühlen dass er im nächsten geschosshagel getroffen wird und wünscht sich lieber den selbst bestimmten freitod. Hier folgt George den tatsachen (die für ihn natürlich auch nicht bindend waren) in einem punkt nicht: Adalbert wollte keineswegs sterben - das war ja gerade der grund zu desertieren gewesen. Die beabsichtigte flucht nach Holland und die verhaftung bleiben also im dunkeln. 

V bewegen ethisch begründete zweifel - die sich nicht auf den vorwurf der feigheit beschränken - und es kommt zu einer regelrechten stichomythie. V nennt A (aufgrund seiner zugehörigkeit zum Kreis) einen „träger der weihe" und meint damit dass er als solcher sich keine schwäche erlauben dürfe. A kehrt den gedanken um: gerade als solcher dürfe er „nichts tun was mich zum mindren macht": er dürfe sich weder zum opfer eines blinden zufalls machen durch den er im gefecht fällt · erst recht nicht sich dem langsamen welken aussetzen womit er das sinnlose weiterleben in einem zerfallenden Deutschland meint. Es ist gut zu erkennen wie George A mit seinem elitebewusstsein und hohen ethos als eindrucksvolles vorbild für künftige Kreis-generationen anlegt.

Von seinem entschluss „frank und stolz” aus dem leben zu scheiden lässt A sich auch nicht abbringen durch Vs blick hinüber zum Brocken mit seinem hexentanzplatz - es ist die zeit der mittsommernacht - und dessen bitte mit der entscheidung noch bis zum neumond - also bis zum ende des einflusses düsterer kräfte - zu warten. Als A die frage des freundes ob er auch ohne ihn sterben wolle bejaht gibt V nach. Er spüre (anders als sein gegenüber) „keinen götterwink” sich auf eine bestimmte weise zu entscheiden. Aber er denkt an den schwur in seinem „jünglingsjahr” mit dem freund für immer untrennbar verbunden zu sein. Dieser schwur den beide im internat ablegten als Bernhard vierzehn und Adalbert sechzehn jahre alt war ist in der tat belegt und war George bekannt. Er werde - verspricht V - Adalbert nicht allein „durchs dunkle tor” gehen lassen. 

George nimmt die vorlage also zum anlass eine liebe zu preisen die auch angesichts des ernsts der entscheidung - ob V dem freund in den tod folgen soll -  unerschüttert bleibt. Dies ist sein künstlerisches recht. Es wäre aber ein wunder würde es immer noch an stimmen fehlen die die gelegenheit zu vorwürfen ergreifen eine schnöde und dazu noch misslungene desertion werde bei George in einen stolzen freitod umgedeutet - so als habe der lyriker gegen die pflichten eines protokollführers verstoossen. Und natürlich hat keiner der moralisierenden kritiker zweieinhalb jahre lang den berüchtigten stellungskrieg an der westfront mitgemacht oder gar bedacht dass es George gar nicht zugestanden hätte mit einer öffentlichen zurschaustellung persönlichster einzelheiten der familie Bernhards in den rücken zu fallen die mehr als zehn jahre lang Morwitz und damit dem George-Kreis ihr Wertvollstes anvertraut hatte. 

Georges verzicht auf leeres pathos - man darf sich von der ausgeprägt dichterischen sprache beider nicht täuschen lassen - ist bemerkenswert. Oft missbrauchte und abgegriffene schlagworte wie „freund” „freundschaft” oder gar „liebe” werden streng vermieden. Am ende fallen sich nicht zwei liebende tränenreich in die arme: mit dem nachgeben Vs ist der dialog beendet und A darf nicht einmal mehr danke sagen. 

Der eine will sterben - der andere aber nicht. Da wirkt der immer behutsame · nie scharfe ton zwischen beiden der das wort „streit” strikt verbietet tief beeindruckend. Überhaupt redet keiner von ihnen als sei er von affekten gelenkt. Es geht allein um einen nüchternen austausch gleichwertiger rationaler argumente in deutlich antikisierendem ton - entsprechend der George ja bestens bekannten erstklassigen altfilologischen ausbildung der beiden. Einen mittelweg kann es nicht geben und so fügt sich V ohne überredet worden zu sein · ganz in liebe und frei von bitterkeit. Und keinesfalls wird A - der sich in den SPRÜCHEN AN DIE LEBENDEN noch einiges hatte anhören müssen - abgewertet auch wenn er hier als treibende kraft dargestellt wird. Klug und liebevoll zugleich verwendet er Bernhards eigene sternwandel-worte · lebt aber ganz in der religiösen vorstellungswelt der Maximin-dichtungen wenn er von seiner heilsgewissheit spricht dass beiden durch den freitod „der lichte wandel nicht benommen” werde · sie vielmehr „blühen” werden „wie die ewigen sterne”. Als V die anspielung auf die hexen macht unter deren einfluss A stehen könnte beeindruckt die überlegenheit der entgegnung des älteren: „Du kind machst scherz am grab · der dunkelgeist / Der in mir waltet kennt nicht solchen spuk.” 

As ernste persönlichkeit verbietet jede beckmesserei über fahnenflucht und schuld - und erst recht die gänzlich deplazierte unterstellung des Werkkommentars dass A mit der rede vom dunkelgeist das rationale sprechen aufgegeben habe (Wk, 647). Der dunkelgeist ist nichts anderes als der bildliche ausdruck für die depression unter der Adalbert nach den jahren im schützengraben leidet und wegen der er objektiv nicht mehr einsatztauglich ist. Man sollte George nicht einfach auf verdacht unterstellen dass die bei den soldaten an der westfront im lezten kriegsjahr verbreitete seelische erkrankung lediglich eingefügt wurde um den wunsch zu begründen sich das leben zu nehmen. Jede verantwortungsbewusste truppenführung würde einen davon betroffenen soldaten oder offizier heute sofort aus dem einsatz nehmen. Deshalb haftet der fahnenflucht nichts verwerfliches an und George hat vollkommen recht daran getan nichts an die öffentlichkeit zu bringen was fanatische nationalisten im dunstkreis der dolchstosslegende nur missbraucht hätten um Cohrs’ handeln unverdientermaassen in ein licht der schande zu rücken. Cohrs und Uxkull sollten auch von der heutigen germanistik nicht weniger als Georges A und V als opfer des krieges gesehen und mit einem mindestmaass an respekt behandelt werden.

Das gedicht ist weit mehr als eine würdige totenfeier für zwei junge kreismitglieder deren herausragende veranlagungen aus jedem ihrer worte sprechen. Wer es als dokumentation ihrer todesumstände nimmt hat es eben missverstanden. Seine grundlage ist das liebevollen einfühlen eines jeden in seinen freund. Sehr wol aber lässt es sich deshalb auch verstehen als ein dokument des vorgegebenen ethos im Kreis und als pädagogisches exemplum. Es macht aus der kleinen schon fast eine heilige schar · trug in den zwanziger jahren reiche früchte · blieb im Kreis lebendig und ging sogar in die kunstgeschichte ein: besser hätte George nicht für ein fortleben sorgen können und deshalb ist VICTOR · ADALBERT auch ohne ein von blumen effektvoll überdecktes grab · auch ohne die proklamation von entrückung und einverleibung wie ein sieg über den tod. Der von George aus dem wirklich tragischen geschehen um Adalbert und Victor mit wenig mühen und geringfügigen auslassungen geschaffene mythos vom tod des sternwandel-dichters ist sogar ungleich überzeugender als das unglückliche Maximin-projekt dem nicht annähernd ein so faszinierendes handlungsgerüst zugrundelag. Und die form des dialogs vermeidet diesmal jegliches sich-in-den-vordergrund-drängen eines sprechers der manchmal allzu aufdringlich seine eigene trauer zur schau stellt. Gegenüber Bernhard Uxkull der nach der langjährigen ausbildung durch Morwitz vom geist Georges völlig durchdrungen war - und ihm gegenüber auch ganz anders auftrat - wirkt Kronberger nur noch wie eine flüchtige strassenbekanntschaft der nachträglich und eben auch vorschnell eine so überzeichnete bedeutung angedichtet wurde dass sie sich dann nicht mehr rückgängig machen liess.  Dass George für Adalberts kriegsmüdigkeit - man sollte lieber von einer völligen psychischen erschöpfung sprechen - wenig verständnis zeigte kann durchaus als versagen bezeichnet werden. Die beiden jungen männer hielten weiter unverbrüchlich an ihm fest behielten ihre konkreten pläne dann aber folgerichtig für sich. Dass George kein rechtspositivist war bewies ja gerade im NEUEN REICH das gedicht DER GEHENKTE (921). Es kann keine gewissensgründe gegeben haben die ihn zu der ablehnung verpflichtet hätten. Zudem hatte er den krieg von anfang an verdammt wie keiner zweiter in Deutschland: George war erstens europäer der Frankreich liebte und zweitens von der aussichtslosigkeit für die mittelmächte überzeugt. Die beiden damals besten unter den jungen im Kreis noch im sommer 1918 als jede siegeshoffnung „eitel” war -wie es im gedicht heisst - in das nun gänzlich sinnlos gewordene gemetzel zu schicken war kreispolitisch unklug aber vor allem unbegreiflich lieblos. Freilich wäre die fahnenflucht eines offiziersanwärters aus altem adel ein öffentliches thema geworden. Wer aber beansprucht den balken im handumdrehen zum rad umbiegen zu können hätte es erst recht schaffen müssen aus diesem minus ein plus werden zu lassen. Man möchte doch nicht anzunehmen wagen dass George nicht besser als irgendein parteipolitiker unserer tage nichts als das ansehen des eigenen grüppchens im auge hatte das um keinen preis mit deserteuren in verbindung gebracht werden sollte. 

Es sei noch darauf hingewiesen wie gut das gedicht den tiefen graben zwischen George und dem faschismus veranschaulicht der zur selben zeit wie das gedicht entstand. Dort werden „wahnwitz" und „eisenhagel" gefeiert · beim Dichter „besinnung" und „frühling". Dort ist die uneingeschränkte zugriff auf den einzelnen rechtens · bei George wird dessen recht sich unter umständen zu entziehen verteidigt. Und die liebe deren preislied er 1928 drucken liess führte 1933 schon ins lager. 

 

 

Im krieg hatte Ernst Morwitz während seines sanitätsdiensts in Belgien den maler Erich Heckel kennen gelernt. Dieser leitete einen sanitätszug der in Ostende stationiert war und in dem zahlreiche intellektuelle und künstler ihren dienst leisteten. Morwitz machte Heckel mit der welt Georges vertraut und als Heckel 1921 den auftrag erhielt einen der hohen räume im Erfurter Angermuseum auszumalen wählte er dazu auch einige motive aus dem George-Kreis. 

Die gesichtszüge seiner figuren sind ihren vorbildern erkennbar nachempfunden. Das gilt auch für Adalbert Cohrs (links) und Bernhard Victor v. Uxkull die in dem fresko (in secco-technik) „Die jungen Toten” hand in hand einer dunklen höhle entgegengehen. 

George selbst hatte für expressionistische malerei nicht viel übrig und auch Heckels oft recht verhärmte gestalten waren mit seinem menschenbild nicht in einklang zu bringen. Auch wenn man Heckel fast zum George-Kreis zählen kann ist es zu einer persönlichen begegnung doch nie gekommen. 

Wir benötigen Ihre Zustimmung zum Laden der Übersetzungen

Wir nutzen einen Drittanbieter-Service, um den Inhalt der Website zu übersetzen, der möglicherweise Daten über Ihre Aktivitäten sammelt. Bitte überprüfen Sie die Details in der Datenschutzerklärung und akzeptieren Sie den Dienst, um die Übersetzungen zu sehen.