7 DER SIEBENTE RING
73 GEZEITEN 7301-21
Dass der blosse zeitablauf hinreichte um jeder leidenschaft Georges zwangsläufig ihr ende zu setzen liegt dem bild der „gezeiten" - des wechsels von ebbe und flut ebenso zugrunde wie dem des „sterns” mit dessen anrufung das dritte gedicht beginnt. Aus der beziehung mit Friedrich Gundelfinger entstanden die ersten zwölf gedichte des zyklus von denen die meisten schon 1901 in den BfdK veröffentlicht wurden. Der achtzehnjährige hatte gerade das abitur abgelegt und im april 1899 in München sein studium begonnen.
Bis zum vierzigsten lebensjahr habe er sich als Georges „erster geistiger Sohn” empfunden (M) was sich auch in der namensänderung zu „Gundolf" ausdrückt die er 1911 beantragte: den neuen namen unter dem Gundolf in der Weimarer Republik zum berühmtesten germanisten Deutschlands wurde hatte George vorgeschlagen. Solche änderungen sollten eigentlich träger jüdisch wirkender familiennamen vor benachteiligungen schützen.
Er hingegen bedeutete George „zum erstenmal eine Verkörperung seines Traums von einer neuen Jugend” die „bereits als angeboren in sich trug, was der Dichter hatte erkämpfen müssen, und die schon in der Ausstrahlung des Wirkens des Dichters aufgewachsen war” (M).
Ihnen folgen die sechs gedichte (7313-18) um Robert Boehringer der sich ende märz 1905 erstmals mit George traf und schliesslich sein erbe werden sollte · während drei abschliessende sicherstellen dass dieser wie jeder andere der sieben „ringe” eine zahl von gedichten erreicht die durch sieben teilbar ist.
7301 Wenn dich meine wünsche umschwärmen
Die erste strofe weckt den eindruck als spräche ein greis (der sich selbst seiner zudringlichkeit bewusst ist so dass schon zu beginn die erwartung eines herkömmlichen liebesgedichts brüsk gedämpft wird). Aber George war erst einunddreissig jahre alt · dreizehn jahre älter als Gundolf. Im heraufdämmern des abends verwischen sich die unterschiede für einen nur kurzen zeitraum und beide können sich einem hochgefühl öffnen das in romantisch-synästhetischen bildern zur anschauung gebracht wird (was das misstrauen eines halbwegs geübten George-lesers noch verstärkt). Zulezt treten dem ahnungsvollen jüngeren tränen in die augen: „um andre um dich und um mich” · er fühlt sich nur der „seele” des sprechers näher und lässt den kuss geschehen. Gleich an den anfang der Gundolf-gruppe stellt George also kalt rationale verse die alle illusionen von vornherein verbieten.
7302 Für heute lass uns nur von sternendingen reden !
1 von sternendingen : im anschliessenden gedicht wird der stern direkt angesprochen. Gemeint ist die person die dort ihre wange auf die knie des sprechers legte.
3 Veden : George hatte zugang zu übersetzungen dieser heiligen bücher durch den kontakt mit Melchior Lechter „als er in dessen Werkstatt in Berlin viele Herbst- und Wintertage nach 1900 verbrachte”(M). Den hindus gelten sie als göttliche worte. Dass der schüler sie sogleich versteht erhebt ihn auf eine übermenschliche stufe - schon einige jahre vor der apotheose Kronbergers,
Der sprecher äussert sich beeindruckt über die klugheit und „unbewusste würde” des „schülers” und hebt dessen vermögen hervor um sich herum helligkeit zu verbreiten und damit „des blinden nacht” zu brechen. Freilich stellt sich der durch die überlegenheit des schülers scheinbar so beschämte sprecher damit auf eine ebene mit Homer und beansprucht so doch wenigstens die schärfe von dessen legendärem inneren auge. Sein zustand pendelt zwischen jauchzendem hochgefühl und staunen (das angesichts der früh erkannten ausserordentlichen geistigen fähigkeiten Gundolfs und seiner belastbarkeit nicht verwundert).
7303 Stern der dies jahr mir regiere !
I,2 keim-monat : im französischen revolutionskalender begann der germinal am einundzwanzigsten märz und endete am neunzehnten april.
I,7/8 : durch fahrvolle böse / Überfinsterte wege : „böse” ist das erste glied der substantivischen aufzählung · „fahrvoll” meint gefahrenvoll. Dies sind beispiele für Georges techniken der verkürzung.
II,7 am fernen gestade : anspielung auf die nun schopn weiter zurückliegenden erfahrungen mit dem anderen geschlecht in NACH DER LESE (ebenso „frühwolken” · vergleiche 5101, 2f. während die erwartung des heiteren sommers an den SIEG DES SOMMERS 53 denken lässt. Offensichtlich wiederholt sich das hochgefühl jener monate in denen George auf Rassenfosse getroffen war.)
In ganz regelmässigen daktylen äussert sich die hoffnungsfrohe bejahung bis der gedanke an die doch immer drohenden „überfinsterten wege” - metrisch ein schwer lastendes wort ! - den wolklang trübt und die erinnerung an die auf die knie des sprechers sich schmiegende wange des angesprochenen einen vers hervorbringt der sich auch ganz trochäisch lesen lässt und dann tiefsten eindruck hinterlässt. Denn diese „schenkenden nächte” bezeichnen - „schon” belegt das - den äussersten punkt des erreichten und vielleicht des erreichbaren: ein immer gefährdetes und kaum mehr zu überbietendes in dem aus den tiefsten „schächten” emporsteigende unsicher „zitternde melodieen” das „innere Einswerden” (M) anklingen liessen während doch „schweifende wünsche” und „ängstende rätsel” den sprecher noch immer belasten.
Ansonsten wurde nur gesprochen in jenen nächten. Und der angesprochene lauschte wie Doniazade in Tausendundeine Nacht den erzählungen der „schwester” Scheherazade. Die lebte im zustand äusserster gefährdung. Dennoch waren es schliesslich überaus zahlreiche nächte in denen sie mit Doniazade zusammen war. Der vergleich entfaltet eine raffinierte wirkung: er drückt nicht nur die hoffnung auf eine lange beziehung aus · er gibt ihr zugleich den charakter einer nur geschwisterlichen. Allerdings erzählte der sprecher bis zum morgengrauen keine märchen sondern gab einen einblick in zeiten in denen ihm „gnade” und „leiden” beschieden waren.
7304 UMSCHAU
7305 SANG UND GEGENGESANG
7306 Betrübt als führten sie zum totenanger
7307 Du sagst dass fels und mauer freudig sich umwalden
7308 Trübe seele - so fragtest du - was trägst du trauer?
7309 DER SPIEGEL
7310 So holst du schon geraum mit armen reffen
7311 DANKSAGUNG
7312 ABSCHLUSS
7313 Das lockere saatgefilde lechzet krank
7314 Da waren trümmer nicht noch scherben
7315 Das kampfspiel das · wo es verlezt · nur spüret
7316 Was ist dies fremde nächtliche gemäuer?
7317 Wieviel noch fehlte dass das fest sich jähre
7318 Nun lass mich rufen über die verschneiten
7319 FLAMMEN
7320 WELLEN
7321 LOBGESANG